Nachlese
Jetzt ist unsere schon fast legendäre Kreuzfahrt um die Welt zu Ende. Sie wird uns allerdings noch sehr lange begleiten. Nicht nur der zahlreichen Erinnerungen wegen, vor allem aber wegen der Zeit und den Umständen in der sie stattfand. Fast schon wie in einer Parabel steht diese Reise für vieles was unsere Welt heute bewegt und beschäftigt. Sie markiert auf besondere Art und Weise einen Scheidepunkt, eine Wende – von der wir allerdings noch nicht genau wissen, wohin sie uns führen wird.
Mit dieser Reise war der Wunsch vebunden, unsere Welt besser kennen zu lernen und an Orte zu kommen, von denen viele nur träumen. Sehnsüchte, unerfüllte Träume – vor allem aber die plötzlich im Überfluss vorhandene Zeit – nach der Pensionierung – haben uns den Entscheid diese Reise zu buchen, leicht gemacht. Mit der Buchung aber kamen auch die Bedenken. Diese fiel nämlich gerade in die Zeit der aufkommenden Klimabewegung und uns wurde auf einen Schlag bewusst, was eine Kreuzfahrt mit einem solchen Ozeanriesen eigentlich bedeutet – Unmengen CO2, Schwefel und Feinstaub in der Atmosphäre. So begannen wir uns vertieft mit diesem Thema zu beschäftigen. Oft standen wir kurz vor der Stornierung – taten es dann aber doch nicht. Die Neugier auf diese Welt und das Bedürfnis, sich selber, nach fast 50 Jahren hetzen, rennen und arbeiten, selbst zu „belohnen“ war grösser. Und so starteten wir mit viel Erwartungen, Herzklopfen und voller Vorfreude unsere Reise am 5. Januar 2020 in Genua.
Der Start und die ersten Wochen hätten auch kaum besser verlaufen können. Das Wetter war herrlich, die besuchten Orte übertrafen alle Erwartungen und wir realisierten schnell, dass uns diese Reise auch innerlich fordert und bewegt. Man schaut sich Orte ja nicht einfach nur an, man wird auch mit deren Geschichte, Menschen und Problemen konfrontiert. Desgleichen die Reise auf dem Schiff, welche viel Zeit und Gelegenheit bietet Mitreisende kennen zu lernen und Kultur und Wissen zu sammeln. Konfrontiert mit den harten Realitäten auf diesem Planeten – von den krassen Ungleichheiten in Südamerika, der Armut in den Elendsvierteln, den Spuren von Aufständen, den Waldbränden, der Trockenheit, den Wetterkapriolen durch den Klimawandel – an fast allen besuchten Orten, machte uns zu schaffen. Wir begannen uns noch intensiver mit diesen Themen zu beschäftigen und schworen uns, uns nach der Rückkehr noch mehr für diese Themen zu engagieren. Wir wurden uns auch mehr und mehr bewusst, wie privilegiert wir leben und wie fern uns diese „Welt“ eigentlich ist.
Trotzdem genossen wir die besuchten Orte, die grandiosen Landschaften, die Naturwunder, die Städte, die Tierwelt und die zahlreichen Begegnungen. Wir waren sozusagen im Lernmodus und sogen alles in uns auf und versuchten zu verstehen. Doch still und heimlich, ohne es gross zu beachten, braute sich aber in unserem Fahrtwind, im fernen Europa eine Krise zusammen, von der wir kaum etwas hörten. Corona – weit weg – war da nicht mal was in China?.
Dann aber – mitten in der Südsee – die Meldung, dass ein Kreuzfahrtschiff – die Diamond Princess – vor Japan in Quarantäne liegt, mit mehreren Hundert Coronainfizierten an Bord. Aber Japan war immer noch weit. Als uns dann eine Woche später Aitutaki, eine kleine Insel der Cook Island, das Anlegen verbot, dämmerte es auch uns Passagieren, dass da etwa ernsthaftes im Gange ist. Wir spazierten dann noch entspannt auf Neuseeland, bestaunten Geysire, Kiwis und die herrlichen Landschaften und stiessen am 12. März in die Tasmanische See, mit Ziel Hobart (Australien). Wir standen am 14. März sozusagen Gewehr bei Fuss, um die Tierwelt Tasmaniens zu bestaunen, als uns die Lautsprecherdurchsage des Kapitäns in die Realität katapultierte. Landgang wegen Corona untersagt. Wir versuchen in Sydney unser Glück. Aber Covid-19 hatte uns längst eingeholt. Zahlreiche Kreuzfahrtschiffe wurden zu fahrenden Zeitbomben und schleppten Corona in die angefahrenen Länder. Kein Hafen zwischen Australien und Europa hatte mehr Lust auf solche Schiffe und verboten jedes Anlanden. Und so fand unsere Weltreise am 18.März 2020 – mitgeiteilt durch den Kapitän – ein offizielles Ende. Es galt nun die Heimreise zu organisieren. Wer wollte konnte noch von Bord und nach Hause fliegen., die Mehrheit blieb auf dem Schiff und trat zur Rückfahrt an.
Diese führte nun über Melbourne und Fremantle zum auftanken und Lebensmittel bunkern. Ein Zielhafen war immer noch nicht bekannt, da Europa ihre Häfen endgültig schloss. So begann eine kleine Odyssee im Indischen Ozean mit tagelangem im Kreis fahren und vielen Fragen. Es endete mit Kanonenboten vor Fremantle, die uns der westaustralische Gouverneur, auf Grund eines mies recherchierten Artikels in einer Australischen Tageszeitung (298 Corona Infizierte an Bord der MSC Maginifica) zum Empfang schickte und der erlösenden Nachricht, wir könnten in Colombo (Sri Lanka) auftanken. Wann, wie und ob wir je in Europa ausschiffen können war bis kurz vor dem Roten Meer ungewiss. Am 8. April dann die erlösende Nachricht: Marseille ist bereit uns in ihren Hafen zu lassen – am 20. April soll es soweit sein. Und so geschah es dann auch.
Je länger wir auf dem Schiff verbrachten und je mehr wir von der Pandamie, die in der Zwischenzeit die ganze Welt erfasst hatte, erfuhren, umso dankbarer waren wir für unseren sicheren Hort. Dank dem raschen und konsequenten Handeln unseres Kapitäns Roberto Leotta, der alles daran setzte uns gesund nach Hause zu bringen, waren wir in der selbstgewählten Isolation sicher. Die Entwickungen draussen erreichten uns per Newsstream und WhatsApp und sorgten für rege Gespräche. Die Angst – was wird uns zu Hause erwarten – wurde von Tag zu Tag grösser, ebenso die Sorgen um Familie und Freunde.
Nach 41 Tagen und 19’000 km auf dem Meer, erreichten wir Marseille am morgen des 20. April 2020 – coronafrei, mit 1769 Passagieren und 1000 Besatzungsmitgliedern an Bord. Die „Rückschaffung“ (so hiess es im Wortlaut) organisierte MSC zusammen mit den Regierungen der Herkunftsländer. Eine logistische Meisterleistung mit zahlreichen bürokratischen und politischen Fallstricken. Es kam zu Ungereimtheiten und (wie wir von Mitreisenden hören) langen Prozeduren an den Grenzen – trotzdem konnten wir am Mittwoch 00:27 Uhr den Hausschlüssel in unsere Türe stecken und erleichtert in unsere Betten fallen.
Nach drei Tagen unter dem Corona-Regime und vielen Begegnungen (natürlich mit dem geforderten Abstand von mindestens 2 Metern) sind wir immer noch nicht ganz da. Die lange Zeit im warmen, sicheren Nest der schwimmenden Quarantäne, ist noch allgegenwärtig. Die neuen Regeln sind wir noch am lernen. Dabei haben wir rasch gelernt, dass jeder und jede anders damit umgeht. Die Einen ängstlich, andere überkorrekt und wieder andere sehr locker und entspannt. Wir halten uns an die einfache Regel: Gib dem Virus keine Chance! Also Distanz halten – mehr können wir nicht tun.
Was uns aber noch mehr beschäftigt, sind all die Fragen mit denen wir schon auf die Reise gingen, dem was wir auf ihr sahen und was uns wohl noch alles erwartet. Wie wir wissen sind Prognosen, die Zukunft betreffend, immer etwas schwierig und trotzdem müssen wir uns mehr den je mit dieser beschäftigen. Den eines legt dieser Virus gnadenlos offen: Wir stehen nicht ausserhalb der Natur – wir sind Teil davon. Das betrifft nicht nur unsere Gesundheit, es betrifft auch das Klima, die Illusion eines ewigen Wachstums, die Art wie wir leben, wirtschaften und Ressourcen verbrauchen; kurz gesagt unsere gesamte Lebensweise.
Diese „Erkenntnis“ nehme ich auch zum Anlass, diesen Blog weiter zu führen. Aus einem Reisebloge über eine simple Kreuzfahrt für „gelangweilte“ Rentner, wird eine virtuelle Reise um die Welt. Eine Reise zu den Brennpunkten und Orten, wo sich etwas bewegt und über das sich nachdenken lohnt. Die (virtuelle) Reise kann beginnen. Ich freue mich wenn Du dabei bist.